2013 soll sich das Adoptionsrecht für homosexuelle Paare ändern. Endlich. Aber wie lebt es sich eigentlich als Kind einer ungewöhnlichen Beziehung? Eine Art Familientreffen.
Von Max Fellmann, Kerstin Greiner und Claudio Musotto (Interview) Fotos: Marek Vogel
Fünf junge Menschen zwischen 14 und 21, aus Berlin und Düsseldorf, aus Marburg, dem Westerwald und Schwäbisch Gmünd. Sie kennen sich nicht, treffen an diesem Tag zum ersten Mal aufeinander. Wir wollen mit ihnen über das sprechen, was sie eint: über ihre Familien. Sie alle sind anders aufgewachsen als Kinder aus klassischen Familien: Ihre Eltern sind lesbisch, schwul oder transgender (vereinfacht gesagt: Sie haben das Geschlecht gewechselt). Mia, Nell, Felix, Malte und Lisa sind in sogenannten Regenbogenfamilien aufgewachsen.
SZ-Magazin: Wann ist euch klar geworden, dass in euren Familien etwas anders ist als bei anderen?
Nell: In der Grundschule. Wenn beim Weihnachtsbazar meine Mutter nicht mit meinem Vater gekommen ist, sondern mit ihrer Freundin. Dann wurde gefragt: Wer ist das denn? Also hab ich erklärt: Meine Eltern sind ein lesbisches und ein schwules Paar, vier Menschen, die zusammen zwei Kinder haben – meine Schwester Mia und mich.
Felix: Ich war auch schon in der Schule, als meine Mutter nach der Trennung von meinem Vater eine Beziehung zu einer Frau anfing. Ihre Freundin ist bald bei uns eingezogen, später haben sie geheiratet, sie waren mit die ersten Lesben, die das in Deutschland gemacht haben. Das alles habe ich auch gern in der Schule erzählt, mit sieben denkt man sich nichts dabei. Ich habe zu meiner Schwimmlehrerin gesagt, dass meine Mutter nackt mit einer Frau im Bett schläft.
Wie hat die Lehrerin reagiert?
Felix: Gut! Heute ist sie die beste Freundin meiner Mütter. Es stellte sich heraus, dass sie auch lesbisch ist.
Wie haben andere Kinder in der Schule reagiert?
Mia: Kinder nehmen das alles total normal auf. Wenn, dann waren es immer die Eltern, die damit ein Problem hatten. Es gab ein Mädchen, das durfte ich deswegen nicht mehr treffen. Die Mutter kam aus Osteuropa und fand Nell und mich keinen guten Umgang. Malte: Ich habe schon ab und zu doofe Sprüche gehört, weil ich der Sohn von zwei Frauen bin. Aber in der Schule hört man sich doch alles Mögliche an, egal ob man zwei Mütter hat oder eine komische Frisur.
Lisa, bei dir ist alles noch mal anders: Deine Mutter hat eine Geschlechtsumwandlung hinter sich, sie ist heute dein Vater. Wie reagieren Menschen, wenn du das erzählst?
Lisa: In meinem Freundeskreis gibt es zwei Gruppen, die einen kenne ich vom Tanzen, die lachen viel und sind nett. Und dann gibt es welche, die aus einem anderen Viertel kommen, die ständig »krass, Alter« sagen und so. Die machen schon mal komische Sprüche über meinen Vater. Aber viel schlimmer finde ich, dass ich ab und zu die Sprache von denen übernehme. Weil ich die ja jeden Tag höre!
Nell: Ich finde es manchmal traurig, dass wir uns ständig erklären müssen. Erst das macht unsere Familien ja zu was Besonderem.
Wie erklärt ihr anderen den Unterschied zwischen eurer und ihrer Familie?
Lisa: Einem Jungen zum Beispiel sage ich immer, dass er sich vorstellen soll, er würde über Nacht eine Frau – und sich dann nichts sehnlicher als seinen Jungenkörper zurückwünschen. So hat sich mein Vater vor seiner Operation gefühlt. Das kapieren echt viele.
Wie hast du dich gefühlt, als dir deine Mutter gesagt hat, dass sie gern ein Mann sein möchte?
Lisa: Das war voll komisch, ich dachte, dass jetzt komplett alles anders werden würde. Aber weil ich wusste, dass meine Mutter, also mein Vater, sich in seinem Körper gar nicht mehr wohlfühlt, habe ich gesagt: Natürlich, mach. Nach und nach hab ich gemerkt, dass sein Lächeln wieder stärker wurde. Lukas war richtig glücklich, und das hat mich auch glücklich gemacht.
Du sagst zu deinem Vater Lukas. Wie nennt ihr anderen eure Eltern?
Malte: Ich sage meistens Mama oder Mutter. Wenn man allerdings mit jemand anderem spricht, dann gibt’s schnell Durcheinander, weil ich ja beide Mutter nenne. Aber es wäre doof, »meine leibliche Mutter« und »meine nicht-leibliche Mutter« zu sagen. Einen Vater gibt es bei mir ja nicht, ich bin durch einen anonymen Samenspender gezeugt worden.
Felix: Bei mir heißt eine Mutter Sabine und die andere Anne, als Kinder haben wir »Sahne« daraus gemacht. Das rufen wir heute noch oft, damit sind dann beide gemeint.
Malte: Wichtig ist auch die Tonlage: Wenn ich »Mama« ins Haus rufe, dann wissen die, je nachdem, wie ich es betone, wer gemeint ist. Wenn ich eine Erlaubnis brauche oder mit Freunden wegfahren will, dann rufe ich halt so »Mamaaa …«. Die Richtige hört schon hin – und ich weiß ja, bei wem ich schneller durchkomme.
Felix: Mein Problem ist, dass ich meistens, wenn ich von meinen Eltern rede, vergesse, dass es zwei Mütter sind. Ich sage »Eltern«. Chaotisch wirds, wenn die Frage nach den Berufen kommt. Ich sage, meine Mutter ist Frauenärztin und meine Mutter ist Hebamme. Und alle so: hä?
Wenn ihr über eure Familien sprecht, werdet ihr meistens gefragt: Und wie bist du auf die Welt gekommen?
Mia: Bei uns wollen viele wissen, wo die Gene herkommen. Meine leibliche Mutter und mein leiblicher Vater waren ja ein Paar, bevor sie lesbisch und er schwul wurde. Sieben Jahre nach ihrer Trennung haben sie beschlossen, zusammen Kinder zu bekommen. Für meine Zeugung haben sie sich getroffen, Nell wurde später durch Insemination mit
unserem Vater als Samenspender gezeugt.
Wie reagiert man auf blöde Sprüche?
Mia: Das kommt drauf an, ob ich mit einer Antwort tatsächlich irgendwas bewirken kann. Bei manchen Leuten denke ich mir, mit dem hat das sowieso keinen Sinn …
Malte: Wenn einer zu mir käme mit einem blöden Spruch, wäre ich vermutlich der Letzte, der den Mund aufkriegt, weil dem schon drei meiner Freunde die Meinung gesagt haben.
Mia: Das ist bei uns auch so. Alle unsere Freunde finden unsere schwulen Väter cool. Da käme nie einer mit einem Spruch durch.
Felix: Ich gehe eigentlich immer ganz gern auf Konfrontation. Wenn ich merke, manche Leute könnten ein Problem haben – dann sage ich erst recht: Ich habe zwei Mütter. Und warte gespannt auf die Reaktion.
In euren Familien werden die Rollen neu erfunden. Wer kümmert sich um das Essen? Wer kümmert sich um das Geldverdienen? Wird so etwas verhandelt?
Mia: Alles total flexibel. Alle gehen arbeiten, alle kochen mal.
Felix: Die Frage höre ich oft: Wer nimmt den männlichen Teil ein, wer den weiblichen? Ich verstehe die Frage ehrlich gesagt nicht. Ich finde sie relativ sinnlos.
Mia: Diese alten Modelle werden immer seltener. Ich glaube, ich kenne keine Familie, in der die Mutter eine Hausfrau ist.
Wie ist das bei dir, Lisa? Welche Rolle nimmt dein Vater für dich ein?
Lisa: Er übernimmt beide Rollen. Er war meine Mutter, er ist jetzt mein Vater, also ist er irgendwie beides. Wenn meine Freundinnen erzählen, dass sie auf der Couch ein bisschen mit Mama kuscheln – das mache ich alles mit ihm. Meine Stiefmutter hält sich da komplett raus.
Hattet ihr alle schon oft Kontakt mit anderen Kindern aus Regenbogenfamilien?
Mia: Lustigerweise noch nie. Aber vor Kurzem bin ich mit meinem jetzigen Freund zusammengekommen. Und irgendwann hat sich herausgestellt, dass seine Mama auch lesbisch ist. Und die Mutter vom Freund seiner Schwester auch!
Felix: Das hier ist mein erstes Treffen mit anderen Regenbogenkindern.
Malte: Ich habe schon viele Regenbogenfamilien kennengelernt. Bei uns kam das vor allem über das Thema Insemination. Weil das noch total neu war vor 20 Jahren. Deshalb haben meine Eltern auch »Ilse« mitgegründet. Das ist eine Initiative lesbischer und schwuler Eltern, die Regenbogenfamilien mit Kinderwunsch unterstützt. Darüber kenne ich viele Kinder mit der gleichen Geschichte.
Malte, du bist eines der ersten Kinder in Deutschland, die durch Insemination gezeugt wurden. Hast du jemals den Wunsch gehabt, deinen leiblichen Vater kennenzulernen?
Malte: Das werde ich oft gefragt. Aber ich muss sagen, nein, das kann doch total nach hinten losgehen. Dann hat man vor sich einen sitzen und denkt, oh, mit dem will ich aber nicht meine Gene teilen! Wahrscheinlich wäre es am besten, wenn ich den Mann mal eine halbe Stunde durch ein Fenster oder im Fernsehen anschauen könnte. Einfach nur, damit ich wüsste, wie er aussieht, wie er drauf ist. Mehr nicht.
Die Möglichkeit hattest du nicht.
Malte: Nein, meine Mütter wollten einen anonymen Samenspender. Ab und zu, wenn meine nicht-leibliche Mutter mir was verbietet, spiele ich auch auf unsere Nicht-Verwandtschaft an. Dann sage ich: Meine Mama würde mir das erlauben! Oder ich sage zu meinem jüngeren Bruder, der von meiner nicht-genetischen Mutter auf die Welt gebracht wurde: Deine Mama ist heute aber komisch drauf!
Ist einem von euch so etwas schon mal im Ernst rausgerutscht?
Mia: Als ich klein war, habe ich zu Susanne, meiner nicht-genetischen Mutter, mal gesagt: Du bist nicht meine Mama, du hast mir nichts zu sagen. Darauf sie: Dann muss ich dir auch jetzt nicht die Schulbrote schmieren.
Habt ihr in der Pubertät mal die Homosexualität eurer Eltern als Vorwurf verwendet?
Mia: Damals nicht. Heute werfe ich meinem Vater vor, dass er im Alter immer spießiger wird. Und wenn er und sein Freund so rumtunteln, mach ich sie manchmal nach.
Nell: Manchmal haben wir unsere Mütter geärgert: Ihr seid grad voll wie Männer!
Malte, Felix, hat euch der Vater irgendwann mal gefehlt?
Malte: Mir nie. Kann gut sein, dass man an bestimmten Punkten im Leben eine männliche Vorbildrolle sucht, ohne dass man es weiß. Wenn man sich entwickelt und älter wird, möchte man manches vielleicht nicht gerade seine Mutter fragen. Aber so etwas hat eben der Rest der Familie übernommen, mein Onkel zum Beispiel.
Lisa, besprichst du mit deinem Vater auch typische Mädchenthemen, also alles, was die meisten eher mit ihrer Mutter besprechen würden?
Lisa: Schon viel, ja. Oft auch mit seiner Schwester. Ich könnte aber alles auch mit meinem Vater besprechen, mir wäre da nichts peinlich.
Wie war das bei euch anderen in der Pubertät?
Felix: Ich konnte mit meinen Müttern über alles reden. Aufklärung war bei einer Frauenärztin und einer Hebamme kein Problem, klar.
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